
Danke an Anke Fischer-Lohrengel für den Hinweis auf den nachfolgenden Artikel von Rita Gunther McGrath im Business Harvard Manager:
“Die meisten Unternehmen orientieren sich immer noch zu sehr an alten Ideen des Kapitalismus. Doch langsam entwickelt sich ein neuer Managementstil, in der die Empathie im Mittelpunkt steht. Ein Rückblick und Ausblick.
Das Unternehmen als Maschine – diese Metapher aus den Anfängen unseres Industriezeitalters wirft nach wie vor einen langen Schatten auf unsere heutige Sichtweise des Managements. Und das ist nicht die einzige tief in unserem Denken verankerte und nur selten kritisch unter die Lupe genommene Vorstellung, die sich auf die Führung von Unternehmen auswirkt.
Nach wie vor gehen Manager davon aus, dass Stabilität der Normalzustand ist und Veränderungen eher die Ausnahme darstellen (ein Standpunkt, den ich insbesondere in meinem Buch The End of Competitive Advantage kritisch beleuchtet habe). Immer noch halten Unternehmen es für wichtig, bestehende Vorteile zu nutzen – ein sehr kurzfristiges Denken, das von vielen beklagt wird. (Clayton Christensen gibt dieser unternehmerischen Kurzsichtigkeit die Schuld am chronischen Niedergang unserer Innovationsfähigkeit – er bezeichnet dies als "Dilemma des Kapitalismus." Die Unternehmen konzentrieren sich nach wie vor viel zu sehr auf ihre Aktionäre – mit katastrophalen Konsequenzen, selbst bei großen, erfolgreichen Unternehmen wie IBM.
Doch obwohl man sich immer noch an diesen alten Ideen orientiert (die auch nach wie vor gelehrt werden), entwickelt sich allmählich ein neuer Managementstil, der von den klügsten Denkern unter den Führungskräften bereits praktiziert wird. Ich bin ähnlich wie mein Kollege Ian MacMillan der Ansicht, dass wir seit der industriellen Revolution drei verschiedene Management-Zeitalter erlebt haben, in denen jeweils ein anderer Aspekt im Mittelpunkt stand: Exekution, Fachkompetenz und Empathie.
Vor der industriellen Revolution gab es noch kein nennenswertes Management – das heißt, alle Mitarbeiter (außer dem Eigentümer des Unternehmens) wirkten an Aufgaben wie Koordination, Planung, Kontrolle, Belohnung und Ressourcenallokation mit. Mit Ausnahme einiger weniger Organisationen wie Kirche, Militär, ein paar großen Handelsunternehmen, dem Baugewerbe und den landwirtschaftlichen Betrieben (von denen leider viele auf Sklavenarbeit beruhten) – existierte in den damaligen Unternehmen noch kaum etwas, was man als Managementpraktiken bezeichnen könnte. Nur in den Werken großer Denker wie Adam Smith finden wir erste Vorstellungen von der heutigen Unternehmenswelt. Von Smith stammt beispielsweise die Erkenntnis, dass man durch Arbeitsteilung die Produktivität steigern kann.
Auftritt der Manager
Mit dem Eintritt der industriellen Revolution veränderte sich das alles. Jetzt entstanden neue Produktionsmittel, und die Unternehmen wuchsen. Diese großen Firmen konnten die Eigentümer nicht mehr allein koordinieren, sie brauchten dafür andere Personen: In der Sprache der Juristen und Wirtschaftswissenschaftler heißen sie Bevollmächtigte, wir bezeichnen sie schlicht und einfach als Manager. Damals lag der Schwerpunkt ausschließlich auf der Exekution der Massenproduktion. Dabei kamen erste unternehmerische Lösungsansätze wie Spezialisierung, standardisierte Arbeitsprozesse, Qualitätskontrolle, Ablaufplanung und eine rudimentäre Form der Buchhaltung zum Einsatz.
Anfang des 20. Jahrhunderts war der Begriff Management bereits allgemein bekannt; erst jetzt erkannte man, wie Recht Adam Smith mit seinen Ideen gehabt hatte. Andere Arbeits- und Wirtschaftswissenschaftler – beispielsweise Frederick Winslow Taylor, Frank und Lillian Gilbreth, Herbert R. Townes und Henry L. Gantt – entwickelten Theorien, bei denen es um Effizienz, Gleichförmigkeit und Vorhersehbarkeit von Produktionsabläufen ging. Das Ziel bestand darin, die Outputs zu optimieren, die aus einer Reihe von Inputs generiert werden konnten.
Nachdem die binnenorientierten Unternehmen diese Größenordnung erreicht hatten, gab es für sie bemerkenswerterweise kaum Konkurrenz. In Amerika genossen die Titanen in der Produktion von Stahl, Petroleumerzeugnissen und Lebensmitteln eine unangefochtene Vormachtstellung. Daher war die Optimierung der Produktionsabläufe damals eine sehr sinnvolle Vorgehensweise. Außerdem war der Besitz von Kapital, das den Erwerb von immer mehr Produktionsmitteln (etwa Fabriken, Maschinen) erlaubte, die Basis wirtschaftlichen Wohlstands.
Allmählich gewann man immer mehr Erkenntnisse darüber, welche Managementpraktiken erfolgreich sind und welche nicht. Zwar hatte es in Europa schon seit 1800 Ausbildungsstätten gegeben, die sich auf die Führung von Betrieben konzentrierten, doch mit der Gründung der Wharton School im Jahr 1881 besaß der Wirtschaftsgigant USA als erstes Land eine Hochschule für Management. Der wohlhabende Industrielle Joseph Wharton hatte den Ehrgeiz, "tragende Säulen des Staates" hervorzubringen, die mit ihren Führungsqualitäten nicht nur die Unternehmenswelt, sondern auch das öffentliche Leben beeinflussen sollten. Weitere Universitäten folgten. Ein Meilenstein war die Gründung des HBR im Jahr 1922: Dieser Schritt illustriert, dass sich allmählich das Management als Disziplin durchsetzte, für die es immer mehr Evidenz gab und die nun auch durch eine Theorie untermauert wurde.
Der Siegeszug der Fachkompetenz
So wurde der Grundstein für die nächste große Management-Ära gelegt, bei der es in erster Linie um Fachkompetenz ging. Um die Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden erstaunlich viele Managementtheorien und Industrie-Gurus hatten Hochkonjunktur. Autoren wie Elton Mayo, Mary Parker Follett, Chester Barnard, Max Weber und Chris Argyris wandten Theorien aus anderen Gebieten (Soziologie und Psychologie) auf das Management an. Auch statistische und mathematische Erkenntnisse (oft aus dem militärischen Bereich) wurden auf Managementfragen übertragen und bildeten die Basis jener Disziplin, die später unter der Bezeichnung Operations Management bekannt wurde.
Spätere Versuche, das Thema Management wissenschaftlich aufzubereiten, führten zur Entwicklung weiterer Ideen und Theorien: Theory of Constraints, Management by Objectives, Reengineering, Six Sigma, der "Wasserfall"-Methode der Software-Entwicklung und so weiter. Ein typischer Vertreter dieser Ära war Peter Drucker, einer der ersten Management-Experten, der zum Guru wurde. Sein 1946 erschienenes Buch Concept of the Corporation war eine unmittelbare Reaktion auf die Herausforderung, die Alfred P. Sloans als Chairman von General Motors zu meistern hatte: Er musste herausfinden, wie man ein weitverzweigtes, komplexes Unternehmen managt.
Doch allmählich begann etwas Neues in die Welt des "Unternehmens als Maschine" Einzug zu halten. Das war der Aufstieg dessen, was Drucker als "Wissensarbeit" bezeichnete – ein Begriff, der später berühmt werden sollte. Drucker erkannte, dass Wertschöpfung sich nicht einfach nur darauf beschränkt, dass Arbeiter Waren produzieren oder Aufgaben erledigen – Wertschöpfung entsteht auch dadurch, dass diese Arbeiter Informationen nutzen. Allmählich wurde der Anteil der Wissensarbeit an der amerikanischen Wirtschaft immer größer.
Die neue Aufgabe hieß: Wissen und Wissensarbeiter zu managen. Das brachte alles ins Wanken, was Unternehmen bisher über die richtige Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter zu wissen geglaubt hatten. Wenn alles, was ein Unternehmen an Wert besitzt, jeden Abend nach Hause geht, ist eine andere Art der Zusammenarbeit zwischen Management und Belegschaft erforderlich. Nämlich eine, die nicht mehr nur auf Kommando und Kontrolle beruht. So entstanden neue Managementtheorien, die ein viel größeres Schwergewicht auf Motivation und Engagement der Mitarbeiter legten.
Für dieses Denken ist Douglas McGregors "Theory Y" typisch. Jetzt hatte man ganz andere Vorstellungen davon, worin die Aufgabe einer Führungskraft besteht: Kontrolle und Autorität machten einem eher partizipativen Coaching-Managementstil Platz. Als Organisationstheoretiker sich mit diesen Ideen zu beschäftigen begannen, bewegte sich das Management wieder in eine neue Richtung. Der neueste Trend in dieser Sichtweise – repräsentiert von Autoren wie Daniel Goleman – geht dahin, dass man versuchen soll, den Faktor der "emotionalen Intelligenz" im Management zu verstehen.
Eine neue Ära
Heute stecken wir mitten in einem weiteren fundamentalen Umdenkprozess, der unsere Vorstellung von dem Sinn und Zweck von Unternehmen erneut umkrempeln wird. In der Exekutions-Ära bestand der Daseinszweck eines Unternehmens darin, möglichst groß zu werden. In der Fachkompetenz-Ära hatten Unternehmen die Aufgabe, immer komplexere und hochwertigere Serviceleistungen bereitzustellen. Heute dagegen erwarten viele Menschen von einem Unternehmen, dass es ihnen ganzheitliche und sinnvolle Erfahrungen ermöglicht. Ich bin der Ansicht, dass das Management in eine neue Ära eingetreten ist: in das Zeitalter der Empathie.
Dieser neue Schwerpunkt auf Empathie erstreckt sich aber nicht nur auf den Kunden. Es müssen sich auch die Inhalte des Arbeitsvertrags und die Wertversprechen ändern, die ein Unternehmen seinen Mitarbeitern macht. Heutzutage herrscht eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit den bisherigen Firmen, die größenteils aus dem Zeitalter stammen, in dem Unternehmen als Maschine gesehen wurden. Man wirft ihnen vor, dass sie Ungleichheit fördern, auf Kosten der Mitarbeiter und Kunden nach Profit streben und nur zum Nutzen der Kapitaleigentümer, nicht aber im Interesse einer breiteren Gruppe von Stakeholdern geführt werden. Auch auf dieser Ebene wird vom Management gefordert, dass es sich künftig empathischer verhalten muss.
Inzwischen spüren auch andere Menschen, dass wir für eine neue Ära des Managementdenkens und der Managementpraxis bereit sind. Aus meiner Sicht bedeutet dies, dass wir herausfinden müssen, wie Management aussehen kann, wenn die Arbeit nicht mehr über Befehlsketten, sondern über Netzwerke abläuft, wenn sie eine emotionale Bedeutung hat und die Manager dafür verantwortlich sind, für ihre Mitarbeiter Communities zu schaffen. Wenn von den heutigen Managern Empathie verlangt wird (und das ist mehr als Exekution und auch mehr als Fachkompetenz), dann müssen wir uns fragen: Was für neue Rollen und Unternehmensstrukturen sind in einem solchen Kontext sinnvoll, und wie soll man das Leistungsmanagement gestalten? Was für Eigenschaften muss eine Führungskraft jetzt mitbringen, um als Säule ihres Unternehmens fungieren zu können, und wie soll die nächste Managergeneration ausgebildet und geschult werden? Nun liegen wieder alle Fragen zum Thema Management auf dem Tisch – und wir können die Antworten nicht schnell genug finden.
Rita Gunther McGrath ist Professorin an der Columbia Business School und eine weltweit anerkannte Expertin für Strategien in unsicheren, volatilen Umfeldern. Sie hat das Buch The End of Competitive Advantage (Harvard Business Review Press) verfasst.”
Quelle Bild und Text: http://www.harvardbusinessmanager.de/blogs/manager-brauchen-neuen-fuehrungsstil-a-987288.html
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