Interview von Bettina Geuenich mit Michael Bartz in der Printausgabe des Fachmagazins personal manager 3/2014.
Prof. Bartz, flexible Arbeitsformen gibt es schon lange. Warum jetzt ein Buch über dieses Thema?
Bislang beschränkte sich zeitlich und räumlich flexibles Arbeiten auf bestimmte Berufe und Branchen. Das Neue ist, dass diese Art des Arbeitens allmählich in allen Branchen und Sektoren möglich ist. Das hat vor allem mit der Technologieentwicklung zu tun. Denken wir zurück an die Zeit der Internetblase 1999/2000. Damals dachten wir, dass sich alles verändert. Wir werden online arbeiten, einkaufen, kommunizieren – aber zunächst passierte fast gar nichts. Erst ein paar Jahre später ging das langsam los. Es gab WLAN, die Internetverbindungen wurden schneller und die Preise fielen. Neue Dienste wie Skype oder Facebook entstanden. Heute fühlt es sich normal an, über Amazon einzukaufen, über Facetime zu kommunizieren oder über Instagram Bilder auszutauschen. Das ist kein Bildungsprivileg mehr – und auch nur bedingt eine Generationenfrage. Das heißt: Wie wir privat leben und kommunizieren, hat sich verändert. Und das beeinflusst unsere Erwartungshaltung an die Arbeitsweisen in den Firmen. Was sich in den Unternehmen verändert, hängt stark von den Erwartungen der Mitarbeiter ab.
Was erwarten die Mitarbeiter?
Viele erwarten heute, dass eine Firma mobile Arbeitsformen anbietet. Wir erstellen zusammen mit der HMP Beratungs GmbH in Wien seit drei Jahren jedes Jahr eine großflächige Befragung zum Thema New World of Work in Österreich und Deutschland. Unsere jüngste Studie vom Jänner 2014 unter 261 Teilnehmern hat ergeben, dass mobiles Arbeiten für 76 Prozent der Befragten ein Auswahlkriterium für den Arbeitgeber ist. Das heißt, für einen potenziellen Wechsel ist es ein Top-Kriterium, ob eine Firma zeitlich und räumlich flexibles Arbeiten anbietet oder nicht. Interessant ist auch, dass 51 Prozent sagen, ihnen sei die Einführung von mobilem Arbeiten in der Firma genauso wichtig oder wichtiger als eine Gehaltserhöhung.
Wie erklären Sie sich die Ergebnisse?
Wenn man im Privatleben gelernt hat, dass man wunderbar über Distanzen kommunizieren kann, steigt die Irritation darüber, dass man jeden Tag ins Büro kommen muss, um seinen Job zu erledigen. Die Notwendigkeit für diese althergebrachte, auf Präsenz basierende Arbeitskultur gibt es in vielen Bereichen
nicht mehr. Diese Differenz zwischen dem, was möglich ist, aber in vielen Unternehmen noch nicht Einzug gehalten hat, führt zunehmend zu Unverständnis. Deshalb gibt es zwischen Unternehmen, die die „New World of Work“ leben, und solchen, die das eben nicht tun, sehr große Unterschiede bezogen auf Mitarbeiterzufriedenheit und Employer-Branding.
Was genau verstehen Sie unter der „New World of Work“?
Der Begriff bezieht sich vor allem auf das zeitlich und räumlich flexible Arbeiten. Es
geht aber auch um Veränderungen in den Geschäftsmodellen, um offenere Wertschöpfungskonzepte mit externen Partnern. Unternehmensgrenzen öffnen sich – es wird outgesourct, crowdgesourct, co-developped und damit immer weniger klar, wo eine Firma endet. Wir sprechen über vernetzte Innovationsmodelle und über alternative Jobmodelle, die weltweit als Alternative zur Vollzeitbeschäftigung entstehen. Wir sprechen über eine smartere Technologienutzung, die Produktivität erhöht, und über neue Bürokonzepte, die Kosten reduzieren. Diese Veränderungen
finden in den drei Kerndimensionen Menschen, Technologie und Raum statt – und sie haben enorme Implikationen für die Unternehmen.
Wie viele Unternehmen in Österreich leben diese neue Art des Arbeitens schon?
In Österreich sind wir noch relativ weit von einem Land wie Großbritannien entfernt, in dem rund die Hälfte der Unternehmen zeitlich und räumlich flexibles Arbeiten anbieten. In Österreich bieten unterschiedlichen Studien zufolge zwischen zwölf und 17 Prozent der Unternehmen diese Arbeitsformen an. Das heißt, hier gibt es eine Menge Potenzial. Aber es ist zu beobachten, dass das neue Arbeiten ganz klar aus dem Technologiesektor herausgeschlüpft ist. HP, IBM, Microsoft, Fujitsu: Dort ist die New World of Work gelebte Praxis seit Jahren. Und diese Entwicklung schwappt jetzt über auf andere Industrien – ganz stark auf den Bankensektor. Die Erste Bank und die
Bank Austria/Unicredit beschäftigen sich mit dem Thema. Und im öffentlichen Bereich ist es die Arbeiterkammer Niederösterreich, die vorsichtige Schritte in diese Richtung unternimmt.
Welche Vorteile bietet die neue Art des Arbeitens für diese Organisationen?
Unternehmen, die sich in Richtung neues Arbeiten bewegen, verzeichnen unseren
Analysen zufolge Produktivitätssteigerungen zwischen fünf und zwölf Prozent. Die Mitarbeiterzufriedenheit steigt zwischen zehn und 15 Prozent, selbst wenn sie bereits auf einem hohen Niveau war. Auch Faktoren wie Kreativität, Commitment und Engagement gehen nach oben. Krankheits-, Fluktuations und Recruitingkosten sinken – ebenso wie die Kosten für die Infrastruktur, also Büromieten, Reinigung und so weiter. Die niedrigen Krankheitskosten sind allerdings ein bisschen zweischneidig.
Inwiefern?
Das neue Arbeiten kann schnell zu Selbstausbeutung führen und der direkte Weg in den Burn-out sein, wenn Unternehmen die Mitarbeiter nicht sorgfältig darauf vorbereiten. Denn was passiert, wenn wir praktisch überall arbeiten können? Wir müssen häufig erst einmal lernen, Privatleben und Beruf zu trennen, also abzuschalten. Wer zu Hause arbeitet, meldet sich beispielsweise seltener krank –
und verschleppt unter Umständen Krankheiten. Daher müssen Organisationen Regeln
aufstellen und Mitarbeiter dabei unterstützen, den Umgang mit neuen Arbeitsformen
zu lernen. Dieser Transformationsprozess ist sehr wichtig.
Wie läuft ein solcher Transformationsprozess ab?
Die Organisationen schauen sich zunächst an, für welche Bereiche welche Arbeitsformen passen. Denn hier gibt es große Unterschiede in den Mobilitäts- und Flexibilitätsgraden. Dann legen sie fest, welche Arten der Unterstützung ihre Mitarbeiter benötigen, um die neuen Arbeitsformen leben zu können. Hier geht es um Büroräume, Arbeitsmittel und Trainings. Anschließend gilt es, Spielregeln zu definieren: Wenn wir virtueller zusammenarbeiten, wie schauen die sogenannten „Rules of Engagement“ aus? Wie arbeiten wir beispielsweise mit unserem elektronischen Kalender? Sind alle Einträge für alle sichtbar? Muss man Homeoffice-Tage und Außentermine eintragen? Kann man sich Zeiten blocken, in denen man für konzentriertes Arbeiten in Ruhe gelassen werden will? Auch die Kommunikation über E-Mail, Festnetz, Chat und Social Media sollten Unternehmen regeln, um die Erreichbarkeit sicherzustellen. Hinzu kommen Regeln, die das Messen der Leistungen beschreiben. In virtuellen Teams wird zielorientierte Führung wichtig. Als Führungskraft muss ich den Umgang mit dieser Methodik erlernen – und das braucht Zeit.
Gibt es Bereiche, für die sich das neue Arbeiten nicht eignet?
Die Grenze verläuft zwischen Produktion und Wissensarbeit. Im Produktionsbereich sprechen wir über ganz andere Modelle. Die New World of Work betrifft die sogenannten indirekten Bereiche und die Wissensarbeiter. Das ist aber die einzige Grenze. Ansonsten lässt sich die Ausweitung neuer Arbeitsformen in allen Sektoren und Industriezweigen beobachten. Die klein- und mittelständische Startup-Szene beispielsweise lebt die neue Welt des Arbeitens meist vom ersten Tag an. Der etablierte Mittelstand tut sich allerdings noch etwas schwerer. Auch einige Mitarbeiter bevorzugen geregelte Arbeitszeiten und einen festen Schreibtisch.
Wie können Unternehmen mit diesen unterschiedlichen Bedürfnissen umgehen?
Das Wunderbare ist ja: Wir sprechen bei der New World of Work über ein Welt der Möglichkeiten. Die alte Welt ist: Jeder muss jeden Tag ins Büro kommen – es sei denn, man ist krank. In der neuen Welt kann man ins Büro kommen. Zwänge werden reduziert und jeder kann selbstbestimmter arbeiten.
Welche Rolle kann und soll HR in diesem Prozess spielen?
HR ist eine Partei mit am Tisch. Die Personalabteilung kann das nicht alleine schaffen – auch nicht IT oder Facility-Management. Das lässt sich nur gemeinsam lösen. HR übernimmt aber häufig die Projektleitung und treibt den Transformationsprozess voran.
Zur Homepage des Fachmagazins personal manager: http://www.personal-manager.at/content/
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